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Bingen
Bingen, das mit Recht so bezeichnete »Tor zum Mittelrhein« liegt südlich der Nahemündung und ist historischer Boden in jeder Beziehung. Hildegard von Bingen assoziiert man, und einen viel späteren Künder, Stefan George, 1868 in Büdesheim geboren, aber auch den allgegenwärtigen Goethe, der das St. Rochus-Fest beschrieb. Er wohnte damals (August 1814) im Gasthof »Weißes Ross«. Im Stadtteil Bingerbrück lebte, in unruhigen Zeiten zwischen 1849 und 1851, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Sie mögen stellvertretend stehen für eine produktive, kreative Gegend. Auch wenn, oder weil, man nicht blieb.
Anfang des ersten Jahrhunderts wurde hier das römische Kastell »Bingium« errichtet, wovon noch die Drususbrücke über die Nahe zeugt. Auch scheint unter St. Martin ein Merkurtempel zu liegen. Bingen erhält nach Aufgabe des Limes eine eigene Befestigung. Die Franken drängen aber unaufhaltsam vor und nehmen die Gegend Anfang des 5. Jahrhunderts in Besitz. 983 überträgt Kaiser Otto II. das Gebiet um die Nahemündung Erzbischof Willigis von Mainz. 1146 kommt Hildegard, die vielleicht vielseitigste Frau ihrer Zeit, Dichterin, Naturforscherin, Seherin und Mystikerin, und gründet ihr Kloster, das 1152 geweiht wird. 1165 erwirbt sie auf der anderen Rheinseite Kloster Eibingen dazu, das heute als Nachfolgekloster ihres im Dreißigjährigen Krieg verheerten Klosters Rupertsberg gilt. 1165 ist auch das Jahr, in dem Bingen wegen eines Streites zwischen Kaiser und Erzbischof zum ersten Mal zerstört wird. Die Freiheitsbestrebungen Bingens werden vom Erzbischof im Laufe des 13. Jahrhunderts immer mehr unterdrückt, Burg Klopp wird Zwingburg. Mehrmals brennt Bingen ab, nach dem erfolglosen Bauernaufstand 1525 wird es endgültig von Mainz in die Knie gezwungen. Im Dreißigjährigen Krieg folgen Belagerungen, 1666 bricht die Pest aus, 1689 zerstören die Franzosen die Stadt und 1797 geht sie an Frankreich, nach Vollzug der Wiener Kongressakte an das Großherzogtum Hessen. Seit 1969 besteht der Kreis Mainz-Bingen in seiner heutigen Gliederung.
Sehenswert ist der in der Mitte des Rheins als Spähturm der Burg Ehrenfels errichtete Mäuseturm aus dem 13. Jahrhundert. Schon die Römer hatten hier wohl eine kleine Befestigungsanlage. Erzbischof Hatto II. erzwang 968 Abgaben und strenge Unterordnung der Bevölkerung. Der Legende nach setzte er den Inselturm wieder in Stand und flüchtete 969 vor einer riesigen Mäuseschar dort hin, doch die Mäuse schwammen hinter ihm her und frassen ihn auf. So ist das mit geizigen, hartherzigen Herrschern – in der Sage. 1298 wird der Turm in das Zoll-Sperrsystem der Burg Ehrenfels einbezogen. 1689 zerstören französische Truppen das Bauwerk. Romantiker König Friedrich Wilhelm von Preußen rettet es, indem er 1848 den Unterbau des Vorwerks und 1855 den ganzen Turm restaurieren lässt. So erhält er seine heutige, neugotische Gestalt. Bis 1974 diente er als Signalstation für die Rheinschifffahrt.
Die Basilika St. Martin wird erstmals urkundlich im Schenkungsverzeichnis der Abtei Lorsch für das Jahr 793 erwähnt. 883 wird das romanische Bauwerk zerstört und erst 1220 wieder geweiht. Doch auch dieser Bau fällt 1403 einem Feuer zum Opfer. Schon dreizehn Jahre später wird eine neue St. Martinskirche im gotischen Stil fertiggestellt, 1505 der Barbarabau als Volkskirche angebaut. 1930 verlieh ihr Papst Pius XI. den Titel einer päpstlichen Basilika. Nach der Bombardierung von 1944 stürzten das Gewölbe des Hauptschiffes und ein Teil des Hochaltares ein. Die Krypta stammt noch aus dem 11. Jahrhundert, Statuen der Heiligen Barbara und Katharina aus dem 15. Jahrhundert, eine thronende Madonna aus dem 14., weitere interessante Kunstschätze sind vorhanden.
Die Drususbrücke entstand angeblich unter Drusus um Christi Geburt als Holzbrücke über die Nahe. Nach ihrer Zerstörung 70 n. Chr. folgte die erste Steinbrücke, die den Normannen um 891 zum Opfer fiel. Erzbischof Willigis ließ hundert Jahre später eine neue Steinbrücke errichten, die 1689 von den Franzosen zerstört und 1772 erneut aufgebaut wurde. Im März 1945 vor den anrückenden Truppen der Alliierten gesprengt, wurde sie 1952 in ihrer heutigen Form errichtet. Der Alte Kran im Binger Hafen steht nicht mehr direkt am Rhein, da 1893 das Rheinufer aufgeschüttet wurde. Ähnlich wie in Andernach hat die komplette Inneneinrichtung überdauert. Die Kapuzinerkirche wurde im Jahre 1658 geweiht, 1689 und bis 1698 wieder aufgebaut, renoviert 1823.
Das Wahrzeichen von Bingen aber ist die Burg Klopp. Ursprünglich stand hier schon eine römische Anlage, später, in der Regierungszeit der Erzbischöfe, war Burg Klopp Sitz der adeligen Burgmannen. Friedrich I. Barbarossa eroberte im Jahre 1165 Bingen und zerstörte die Stadt sowie die Burg, die um 1200 wieder aufgebaut wurde. 1230 kam es bei einem Aufstand zur Belagerung, weitere folgten. Im Jahre 1354 verpfändete das Erzbistum Burg und Stadt an Kuno von Falkenstein, der jedoch wenige Jahre später Erzbischof von Trier wurde. Im Dreißigjährigen Krieg wurde Burg Klopp mehrmals belagert, dann eingenommen. Nach der Zerstörung 1689 war sie gerade wieder aufgebaut, als das Domkapitel zu Mainz sie 1713 endgültig sprengen ließ. Nach alten Plänen wurde die Burg zwischen 1875 und 1879 wieder aufgebaut. Seit dem Jahre 1897 ist sie Sitz der Stadtverwaltung und beherbergt ein sehenswertes Heimatmuseum.
Ein ähnlich wechselvolles Schicksal hat die Rochuskapelle. Errichtet während der Pest-Epidemie von 1666, 1689 geplündert, Neubau 1698. 1795 geht die Kapelle bei Kämpfen mit den französischen Revolutionstruppen in Flammen auf. Erst als sich nach der Völkerschlacht bei Leipzig Typhus in der Stadt ausbreitet, baut man die Kapelle wieder auf. Am 16. August 1814 wird der Rochustag wieder feierlich begangen. Zeitzeuge Goethe stiftet ein Gemälde »Der Heilige Rochus auf Pilgerfahrt«. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass es ihn selbst als Heiligen Rochus zeige. 1889 schlägt während der Restaurierung der Blitz ein, die Kapelle brennt erneut ab. Auf dem Fundament entsteht nun die neugotische Version nach Plänen des Freiburger Dombaumeisters Max Meckel. Am Vorabend des Rochusfestes 1895 wird die Kapelle geweiht.
Weiter sehenswert ist das Stefan-George-Museum, und das »Historische Museum am Strom – Hildegard von Bingen« mit einer zusätzlichen Ausstellung zur Rheinromantik.
Aber Bingen hat auch eine Menge Natur. Der Höhenpark Rochusberg bietet eine Vielzahl von Freizeitmöglichkeiten (Rundwanderwege, Weinlehrpfad, Grillplätze, Jogging, Tenniszentrum) und herrlichen Aussichten (Goetheruh, Kaiser-Friedrich-Turm). Auch der Binger Wald ist ein beliebtes Ausflugsziel, ca. 7000 ha groß, mit einem Erlebnispfad und Schautafeln, aber auch bewirtschafteten Forsthäusern. Seit 1999 wird hier eine »villa rustica«, eine römische Gutsanlage aus den ersten Jahrhunderten n. Chr. ausgegraben und erforscht. Funde, Texttafeln und Bilder veranschaulichen die Resultate der ersten Grabungsjahre. Bereits im ersten Jahr wurden die Umrisse des Wohngebäudes mit Badeanlage frei gelegt und das Gesamtareal mit umgebender Hofmauer, Nebengebäuden und Zisternen erfasst.
Nach Süden liegen Worms, Speyer und die Pfalz in unmittelbarer Nähe, im Osten Mainz, Wiesbaden und Frankfurt, im Westen die Heilbäder Bad Kreuznach, Bad Münster a. St.-Ebernburg und Bad Sobernheim sowie die Edelsteinstadt Idar-Oberstein. Rheinhessen, der Hunsrück und der Rheingau, sie alle bieten vielfältige Ziele.
(Textfassung aus »Der romantische Rhein« von Thomas Krämer, ©Rhein-Mosel-Verlag)